29. Mai 2015 by Tavatamo
Oft sind wir nicht präsent. Wir hängen der Vergangenheit nach oder planen die Zukunft, mit entsprechenden Hoffnungen und Befürchtungen. Es ist nichts Falsches daran, Gewesenes zu verarbeiten oder Pläne zu schmieden, vorausgesetzt, beides ist in der Gegenwart aufgehoben, d.h. mit dem Annehmen der Gegenwart verknüpft, im Bewusstsein, dass wir die Vergangenheit nicht ändern und die Zukunft nicht kontrollieren können.
Wir sind nicht wirklich präsent, wenn wir uns kleiner machen, vergleichen und versuchen, jemand anderes zu sein, weil wir meinen, damit erfolgreicher zu werden. Vorbilder und Ziele zu haben mag nützlich sein; die Frage ist nur: welche davon entsprechen uns wirklich und bringen uns weiter – zu uns selbst und unseren inneren Schätzen, die darauf warten, sich in unserem Leben zu manifestieren?
Wer nicht präsent ist, entzieht sich und seinen Mitmenschen einen Teil gemeinsamer Vollständigkeit. Präsenz schlägt eine Brücke zum Anderen und zu allem was ist. Präsenz wirkt „ansteckend“, denn wer präsent ist, regt auch andere dazu an. Aus der entstehenden Synchronität fügt sich dann, was sich fügen darf. Es wird möglich, dass sogenannte „glückliche Zufälle“ geschehen. Dann wird auch klar, warum das „Nicht-Handeln aus dem Sein“ als höchste Form des Handelns bezeichnet wird.
Im Sein verbinden wir uns mit dem Urgrund der Schöpfung. Durch diese Rückbindung an die Quelle der eigenen Kreativität entsteht Ausrichtung auf den eigenen Weg. Aus der Klarheit der Ausrichtung wachsen Vertrauen und Gelassenheit. Meditation ist ein passendes „Training für das Sein“. Meditieren fördert die Hinwendung zum Hier und Jetzt und lässt Gedanken, Konzepte und Überzeugungen in den Hintergrund treten.
Im Sein zu ruhen nennt man es, wenn jemand ganz bei sich ist, im Reinen mit sich und der Welt, ohne deshalb die Augen zu verschließen vor Leid, Ungerechtigkeit und Irrtum. Denn das sind die unausweichlichen Begleiterscheinungen einer Entwicklung, die aus der Einheit des göttlichen Ursprungs durch die Polarität der irdischen Existenz wieder zurück in die Einheit führt.
Augenblicke der Selbstvergessenheit, z.B. im schöpferischen und spielerischen Tun, oder andere Erlebnisse, die den Blick auf eine höhere Wirklichkeit eröffnen (etwa in der Natur oder in glückhaften Begegnungen), erinnern uns an die Großartigkeit des Seins und geben ermutigende Hinweise auf den Weg, der zu uns selbst und in die Heimat führt.
Wer beginnt, diesen Hinweisen vertrauensvoll zu folgen, entdeckt hinter der Oberfläche der wechselvollen weltlichen Erscheinungen zunehmend eine geistige Wirklichkeit von einer Größe und Schönheit, die zuerst Staunen und dann Sehnsucht hervorruft. Sie wurde von den Mystikern aller Religionen als die wahre Heimat des Menschen beschrieben: im Raum und doch grenzenlos, in der Zeit und zeitlos zugleich, irgendwie leer, und doch von größter Fülle Wohl nur mit paradoxen Umschreibungen kann dieser Zustand des Seins charakterisiert werden.
Hier lassen wir einengende Gedanken und Ängste los, die den Weg zurück zu uns selbst verbauen. Hier sind wir bereit, im Nächsten einen Freund und Helfer zu sehen, auch wenn ihn das Schicksal als Gegner in den Weg stellt. Polaritäten erscheinen nicht mehr als konträr, sondern erweisen sich als komplementär und überwindlich. Im Sein zu sein löst Illusionen auf, die mit unseren Prägungen als Opfer einer scheinbar feindlichen Welt zusammenhängen und mit unserer Bindung an die Materie sowie die vorübergehende Befriedigung, die sie verschaffen kann.
Die Kraft des Seins, die auflöst, was der Wahrheit nicht standhält, ist feuriger Natur. Wer im Feuer des Seins die unendliche Liebe spürt, die es mit dem eigenen Herzensfeuer verbindet und es in sein Herz einlädt, der gestattet diesem Feuer, Schicht um Schicht die Vorbehalte, Blockaden und alten Schmerzen verbrennen, die daran hindern, bei sich zu sein, im Sein zu sein, sich selbst zu sein.
Das Feuer des Seins ist ein Schöpfungsfeuer, das die Macht hat zu zerstören und neu zu erschaffen. Durch die Liebe vieler hingebungsvoller Herzen wird dieses Feuer immer größer. Es erleichtert zunehmend, den Anforderungen des Alltags aus dem Sein heraus zu begegnen, mit Gelassenheit und Verständnis für die Zusammenhänge hinter der Oberfläche der Erscheinungen.
In diesem Seinszustand begreifen wir das Werden und Vergehen als einen unendlichen feurigen Tanz, der die Schöpfung in jedem Augenblick erneuert. Er zeigt den Wandel als etwas, wonach wir uns im tiefsten Innern sehnen, da er gestattet, unsere Lebendigkeit zu spüren, schöpferische Fähigkeiten neu zu entdecken und in den Dienst eines erfüllten Lebens zu stellen.
Es ist mir eine große Freude, das Feuer des Seins mit immer mehr Menschen zu teilen.